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Ho Chi Minh City – Auf dem Stuhl von Graham Greene

25. DEZEMBER 2012 – Vietnam Impressionen (7)

Abschied von Hoa in Da Nang. Wir fliegen nach Ho Chi Minh City, dort erwartet uns Huie, unser bisher ältester Reiseleiter. Er war von 1975 (noch vor Ende des Vietnamkrieges) bis 1980 in Deutschland, in Weimar, und hat dort Volkswirtschaft studiert. Wir begrüßen auch unseren neuen Fahrer für die letzten fünf Tage und steigen in seinen Hyundai. Der Flughafen ist nur zehn Kilometer von der Innenstadt entfernt, liegt inmitten der mit inzwischen neun Millionen Einwohnern zusammengewachsenen Stadt. Und von diesen neun Millionen sollen ungefähr drei Millionen im Besitz eines Mofas, einer Vespa oder eines Motorads sein, wie Huie schätzt. Die Chinesen bauen die teuren japanischen Motorräder nach und verkaufen sie für 1.000 Euro, also für ein Drittel des normalen Preises, in Vietnam. Man könne sofort erkennen, welche
Maschine nachgebaut ist, auch wenn der Name übernommen worden sei, sagt Huie und lacht.
Gleich nach dem einchecken im Hotel fahren wir in den nicht weit entlegenen ehemaligen Präsidentenpalast, den wir auch gut zu Fuß hätten erreichen können.

DSC_0920DSC_0668DSC_0680In Hanoi war ich von den vielen Mofas schon überrascht, hier fehlen mir die Worte. Eltern mit einem Säugling zwischen sich und dazu noch einem kleinen Jungen stehend vor dem Lenker. Trommeln, Bananenstauden, Eier-
lDSC_0670adungen, Bambusrohre, hohe Glasplatten, Obstkiepen und das alles zwischen hunderten von Knattertons, die sich ihren Weg bahnen. Auch an den Kreuzungen, an denen Autos und Fußgänger sich gleichzeitig ihren Weg bahnen, bleiben alle ruhig, setzen ihren Weg mit Rücksicht auf die anderen Verkehrsteilnehmer fort. Das ununter-
brochene Hupen ist keine Unmutsäußerung, sondern zeigt dem in der unmittelbaren Nähe Fahrendem nur an, dass man doch bitte noch ein Stück nach rechts fahren möge, damit das Überholmanöver trotz Gegenverkehr reibungslos vonstatten gehen kann. Unfälle scheinen aber trotz allem häufig vorzukommen.
Präsidentenpalast, Kathedrale und Hauptpost. Für das Kriegsmuseum bleibt nur noch eine Stunde, dann werden wir unmissverständlich nach draußen komplementiert und die Räume werden mit dicken Ketten und Schlössern zugesperrt. Ob mir noch etwas unklar sei, fragt mich Huie, als wir die Treppe nach unten gehen. Ich erzähle ihm, dass ich mit 17 Jahren in Hamburg zu Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg auf die Straße gegangen sei, und mein Chef mir am nächsten Morgen gesagt habe, dass man uns allen den Arsch aufreißen und mit einer Knarre nach Vietnam schicken solle, um mit dem Kommunistenpack aufzuräumen. Huie lacht. Das Schicksal vieler amerikanischer Hippis und Kriegsgegner ist mir Gottseidank erspart geblieben. Einen von ihnen habe ich als völlig zerstörten Menschen in Phoenix/Arizona, als Leiter eines kleinen Guesthouses kennengelernt.

DSC_0653Abends gehen wir in ein Lokal, das uns empfohlen worden ist. Ein sehr großes Restaurant, das bei Einheimischen sowie bei Touristen sehr beliebt zu sein scheint. Wir bekommen einen Platz auf der Te­ras­se im ersten Stock. Sitzen oberhalb der sehr lauten Verkehrsstraße, aber im Freien. Wir bestellen Hotpot. Der Kellner bringt wie beim Fondue alles an unseren Tisch, stellt den Topf auf die Flamme, lässt den Fisch, die Muscheln, die Garnelen in den Topf gleiten und Gemüse und Kräuter kommen hinzu. Es schmeckt köstlich. Im Anschluss gehen wir Richtung Saigon Fluss. An der Oper vorbei, die die Franzosen gebaut haben, an großen Hotels. Neben uns wie immer hunderte von Mofas mit überwiegend jungen Menschen. Wo mögen die nur alle hinfahren.

DSC_0657Wir gehen an der Uferpromenade des Saigon Flusses entlang. Romantische Stimmung. Liebespaare sitzen auf Balustrade. Wir blicken auf das Majestic-Hotel, später gehen wir dort ins Café im ersten Stock, sitzen auf der Terasse. Wer weiß, vielleicht hat genau an diesem Tisch damals auch Graham Greene gesessen.

Eine Akte bei der Birthler Behörde?

Freitag, 22. September 2006

In der letzten Woche erhielt ich Post von der Birthler-Behörde in Berlin. Die Recherchen hätten ergeben, dass ich in den Karteien des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Rebpublik mit meinen Personalien erfasst worden sei. Die Erfassung deute darauf hin, dass Unterlagen zu meiner Person vorhanden sein könnten. Sobald die eventuell vorhandenen Unterlagen für mich aufbereitet seien, setzten sie sich wieder mit mir in Verbindung. Von zwischenzeitlichen Nachfragen solle ich absehen.

Im November 1985 lerne ich Erasmus Schöfer kennen. Ich lade ihn zu einer Lesung im Rahmen der Veranstaltung »Köln-Rotterdamer-Begegnungen« ins atelier-theater in Köln ein. Ob ich Interesse habe, einen Maler aus der DDR auszustellen, fragt er mich, gleich nachdem er die Räume und die Bilder an der Wand gesehen hat. Er habe den Künstler Lutz Voigtmann auf der letzten Bezirkskunstausstellung in Karl-Marx-Stadt für sich entdeckt.
Vier Monate später fahren wir gemeinsam mit dem Nachtzug nach Berlin. Ausstellungen mit Künstlern aus der DDR werden über den Staatlichen Kunsthandel abgewickelt.

Wir frühstücken ausgiebig in einem Café in der Kantstraße in Berlin. Mittags treffen wir uns mit Rainer Ebert vom Staatlichen Kunsthandel im Hotel Metropol in Ost-Berlin, um von dort ein Zimmer in Karl-Marx-Stadt zu buchen. Nur so erhalten wir Besuchervisen für die DDR.
Als wir im März 1986 in einem grünen Lada von Ostberlin nach Karl-Marx-Stadt reisen, ahne ich noch nicht, dass ich später einmal einen Verlag haben und Erasmus Schöfer mit seiner
Roman-Tetralogie »Die Kinder des Sisyfos« mein Autor sein würde. Es ist meine erste Reise in die DDR.
Unser Fahrer Rainer Ebert erweist sich als ein guter Kenner der politischen Verhältnisse in der BRD, stellt Fragen zu unserer Einschätzung der Wahlchancen der SPD bei der nächsten Bundestagswahl. Er hofft auf die Anerkennung der DDR als eigenständigen Staat, weil dann, wie er hofft, die Reisebestimmungen für DDR-Bürger in die BRD gelockert würden. Schöfer meint, dass dann die Fachkräfte aus der DDR in die BRD abgeworben und die DDR damit empfindlich getroffen würde. Ebert ist da anderer Meinung.

Ankunft in Karl-Marx-Stadt, Hotel Kongreß, 18. Stock, nasskaltes Wetter, die Menschen sprechen sächsisch. Der Künstler Lutz Voigtmann wartet unruhig in seinem Atelier. Hatte seit mittags auf uns gewartet. Die Ausstellung in Köln hat für ihn eine große Bedeutung. Die Reisediskussion aus dem Auto wird später im Lokal bei Bier und Nordhäuser auch mit Lutz Voigtmann fortgesetzt.
Für mich ist es damals selbstverständlich, dass der Künstler auch zur Ausstellungseröffnung nach Köln kommen kann. Als ich merke, dass dies von Seiten des Staatlichen Kunsthandels versucht wird zu verhindern, rufe ich dort an. Das werde ganz oben entschieden, wird mir nach langen Nachfragen geheimnisvoll gesagt. Dann stellen Sie mich bitte durch! Schweigen auf der anderen Seite über diese unbedarfte Frage eines Westdeutschen.

Lutz Voigtmann durfte, nachdem seine Frau Besuch von einer jungen Dame bekam, die sie zu ihrer Ehe befragte, zur Finissage seiner Ausstellung nach Köln kommen.
Nach der Ausstellung besuche ich Voigtmann noch einige Male in Karl-Marx-Stadt. Einmal reisen wir, obwohl ich keine Genehmigung dafür habe, zusammen nach Rügen und besuchen dort Freunde von ihm. Die Bedenken Voigtmanns kontere ich mit meiner Automarke. Ich fahre einen LADA. Als wir zurück in Karl-Marx-Stadt sind, gesteht mir Voigtmann, welche
Ängste er deshalb ausgestanden hat. Wären wir angehalten worden, hätte er sich weitere Westreisen abschminken können.

Künstler aus Karl-Marx-Stadt, die zum Reisekader gehören, machen Station in unserer Wohnung in Köln, sind froh eine Unterkunft im Westen zu haben. Denn sie haben nur das Begrüßungsgeld der BRD von 100 DM in der Tasche.
Bei einer weiteren gemeinsamen Reise mit Erasmus Schöfer zu Lutz Voigtmann nach Karl-Marx-Stadt, fahren wir zu dritt weiter zur »10. Staatlichen Kunstausstellung der DDR« nach Dresden. Auf der Rückreise machen Schöfer und ich Halt in Weimar, besuchen Alena und Lotte Fürnberg. Schöfers Tochter hatte ein Semester mit Alena in Halle studiert. Ihr Vater ist der früh verstorbene Schriftsteller Louis Fürnberg, der in den dreißiger Jahren mit seiner Agitprop Gruppe in der Tschechoslowakei auftrat und später von den Nazis verfolgt wurde.

Ich habe den Namen Fürnberg vorher noch nie gehört. Nach der Wende führe ich ein langes Interview mit seiner Frau Lotte Fürnberg über ihr Leben und das ihres Mannes. So entsteht 1991 mein erstes Hörfunk-Feature »Als die Träumer aufmarschieren« für den Deutschlandfunk.
1997 fahre ich mit Erasmus Schöfer ein letztes Mal gemeinsam Richtung Osten. Jetzt heißt die Stadt Chemnitz, in der unser gemeinsamer Freund Lutz Voigtmann beerdigt wird. Kurze Zeit später eröffne ich in Chemnitz eine Retrospektive mit Werken des Künstlers Lutz Voigtmann, die ich gemeinsam mit der Neuen Sächsischen Galerie auf dem Kaßberg organisiert habe. Dort wird auch der Film »Es ist nichts weiter wie mein Leben« gezeigt. Mit einfachsten Mitteln habe ich wenige Wochen vor Voigtmanns Tod mit einer halbprofessionellen Kamera einen Film über Lutz Voigtmann gedreht.

Aber auch nach Voigtmanns Tod reise ich weiter nach Chemnitz. Inzwischen gibt es eine
Freundschaft mit einem anderen Künstler aus dieser Stadt. Zehn Jahre zuvor hat Erasmus Schöfer wieder einmal ein Bild für sich entdeckt. Wir erfragen die Adresse des Künstlers und besuchen Christian Lang in seinem Atelier. Dieser Künstler macht seit drei Jahren die Radierungen für die Buchcover der Edgar Hilsenrath Werkausgabe.
Anfang dieses Jahres erzählte ich einem Freund, dass mich jetzt, nach so vielen Jahren, doch interessieren würde, ob es eine Akte über mich von der Staatssicherheit der DDR gäbe. Er erzählte mir, dass es ganz einfach sei, dies zu erfahren. Am 11. Januar 2006 stellte ich dann die Anfrage bei der Birthler-Behörde.