Freitag, 22. September 2006
In der letzten Woche erhielt ich Post von der Birthler-Behörde in Berlin. Die Recherchen hätten ergeben, dass ich in den Karteien des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Rebpublik mit meinen Personalien erfasst worden sei. Die Erfassung deute darauf hin, dass Unterlagen zu meiner Person vorhanden sein könnten. Sobald die eventuell vorhandenen Unterlagen für mich aufbereitet seien, setzten sie sich wieder mit mir in Verbindung. Von zwischenzeitlichen Nachfragen solle ich absehen.
Im November 1985 lerne ich Erasmus Schöfer kennen. Ich lade ihn zu einer Lesung im Rahmen der Veranstaltung »Köln-Rotterdamer-Begegnungen« ins atelier-theater in Köln ein. Ob ich Interesse habe, einen Maler aus der DDR auszustellen, fragt er mich, gleich nachdem er die Räume und die Bilder an der Wand gesehen hat. Er habe den Künstler Lutz Voigtmann auf der letzten Bezirkskunstausstellung in Karl-Marx-Stadt für sich entdeckt.
Vier Monate später fahren wir gemeinsam mit dem Nachtzug nach Berlin. Ausstellungen mit Künstlern aus der DDR werden über den Staatlichen Kunsthandel abgewickelt.
Wir frühstücken ausgiebig in einem Café in der Kantstraße in Berlin. Mittags treffen wir uns mit Rainer Ebert vom Staatlichen Kunsthandel im Hotel Metropol in Ost-Berlin, um von dort ein Zimmer in Karl-Marx-Stadt zu buchen. Nur so erhalten wir Besuchervisen für die DDR.
Als wir im März 1986 in einem grünen Lada von Ostberlin nach Karl-Marx-Stadt reisen, ahne ich noch nicht, dass ich später einmal einen Verlag haben und Erasmus Schöfer mit seiner
Roman-Tetralogie »Die Kinder des Sisyfos« mein Autor sein würde. Es ist meine erste Reise in die DDR.
Unser Fahrer Rainer Ebert erweist sich als ein guter Kenner der politischen Verhältnisse in der BRD, stellt Fragen zu unserer Einschätzung der Wahlchancen der SPD bei der nächsten Bundestagswahl. Er hofft auf die Anerkennung der DDR als eigenständigen Staat, weil dann, wie er hofft, die Reisebestimmungen für DDR-Bürger in die BRD gelockert würden. Schöfer meint, dass dann die Fachkräfte aus der DDR in die BRD abgeworben und die DDR damit empfindlich getroffen würde. Ebert ist da anderer Meinung.
Ankunft in Karl-Marx-Stadt, Hotel Kongreß, 18. Stock, nasskaltes Wetter, die Menschen sprechen sächsisch. Der Künstler Lutz Voigtmann wartet unruhig in seinem Atelier. Hatte seit mittags auf uns gewartet. Die Ausstellung in Köln hat für ihn eine große Bedeutung. Die Reisediskussion aus dem Auto wird später im Lokal bei Bier und Nordhäuser auch mit Lutz Voigtmann fortgesetzt.
Für mich ist es damals selbstverständlich, dass der Künstler auch zur Ausstellungseröffnung nach Köln kommen kann. Als ich merke, dass dies von Seiten des Staatlichen Kunsthandels versucht wird zu verhindern, rufe ich dort an. Das werde ganz oben entschieden, wird mir nach langen Nachfragen geheimnisvoll gesagt. Dann stellen Sie mich bitte durch! Schweigen auf der anderen Seite über diese unbedarfte Frage eines Westdeutschen.
Lutz Voigtmann durfte, nachdem seine Frau Besuch von einer jungen Dame bekam, die sie zu ihrer Ehe befragte, zur Finissage seiner Ausstellung nach Köln kommen.
Nach der Ausstellung besuche ich Voigtmann noch einige Male in Karl-Marx-Stadt. Einmal reisen wir, obwohl ich keine Genehmigung dafür habe, zusammen nach Rügen und besuchen dort Freunde von ihm. Die Bedenken Voigtmanns kontere ich mit meiner Automarke. Ich fahre einen LADA. Als wir zurück in Karl-Marx-Stadt sind, gesteht mir Voigtmann, welche
Ängste er deshalb ausgestanden hat. Wären wir angehalten worden, hätte er sich weitere Westreisen abschminken können.
Künstler aus Karl-Marx-Stadt, die zum Reisekader gehören, machen Station in unserer Wohnung in Köln, sind froh eine Unterkunft im Westen zu haben. Denn sie haben nur das Begrüßungsgeld der BRD von 100 DM in der Tasche.
Bei einer weiteren gemeinsamen Reise mit Erasmus Schöfer zu Lutz Voigtmann nach Karl-Marx-Stadt, fahren wir zu dritt weiter zur »10. Staatlichen Kunstausstellung der DDR« nach Dresden. Auf der Rückreise machen Schöfer und ich Halt in Weimar, besuchen Alena und Lotte Fürnberg. Schöfers Tochter hatte ein Semester mit Alena in Halle studiert. Ihr Vater ist der früh verstorbene Schriftsteller Louis Fürnberg, der in den dreißiger Jahren mit seiner Agitprop Gruppe in der Tschechoslowakei auftrat und später von den Nazis verfolgt wurde.
Ich habe den Namen Fürnberg vorher noch nie gehört. Nach der Wende führe ich ein langes Interview mit seiner Frau Lotte Fürnberg über ihr Leben und das ihres Mannes. So entsteht 1991 mein erstes Hörfunk-Feature »Als die Träumer aufmarschieren« für den Deutschlandfunk.
1997 fahre ich mit Erasmus Schöfer ein letztes Mal gemeinsam Richtung Osten. Jetzt heißt die Stadt Chemnitz, in der unser gemeinsamer Freund Lutz Voigtmann beerdigt wird. Kurze Zeit später eröffne ich in Chemnitz eine Retrospektive mit Werken des Künstlers Lutz Voigtmann, die ich gemeinsam mit der Neuen Sächsischen Galerie auf dem Kaßberg organisiert habe. Dort wird auch der Film »Es ist nichts weiter wie mein Leben« gezeigt. Mit einfachsten Mitteln habe ich wenige Wochen vor Voigtmanns Tod mit einer halbprofessionellen Kamera einen Film über Lutz Voigtmann gedreht.
Aber auch nach Voigtmanns Tod reise ich weiter nach Chemnitz. Inzwischen gibt es eine
Freundschaft mit einem anderen Künstler aus dieser Stadt. Zehn Jahre zuvor hat Erasmus Schöfer wieder einmal ein Bild für sich entdeckt. Wir erfragen die Adresse des Künstlers und besuchen Christian Lang in seinem Atelier. Dieser Künstler macht seit drei Jahren die Radierungen für die Buchcover der Edgar Hilsenrath Werkausgabe.
Anfang dieses Jahres erzählte ich einem Freund, dass mich jetzt, nach so vielen Jahren, doch interessieren würde, ob es eine Akte über mich von der Staatssicherheit der DDR gäbe. Er erzählte mir, dass es ganz einfach sei, dies zu erfahren. Am 11. Januar 2006 stellte ich dann die Anfrage bei der Birthler-Behörde.