Freitag, 8. September 2006
Heute Morgen rief mich Teodor Müller an. Das letzte Mal sprach ich ihn vor anderthalb Jahren. Er meldete sich immer Heiligabend bei mir. Im letzten Jahr blieben sein Anruf und seine guten Wünsche aus, und ich dachte, nun ist er doch nicht mehr hundert Jahre alt geworden, was für ihn immer als selbstverständlich galt.
Teodor Müller wurde als deutscher Pole in eine schlesische Weberfamilie geboren. Schon der Großvater erkannte den techni-
schen Wandel und so wurde sehr früh und erfolgreich auf eine maschinelle Produktion umgerüstet.
Teodor Müller, dieser vitale, humorvolle, lebenslustige Mann, verkörpert ein Stück deutsch-polnischer Geschichte. Von der polnischen Obrigkeit interniert, dann von der Gestapo gefangen genommen, später von der sowjetischen Geheimpolizei als Kapitalist verhaftet und im Anschluss von den Polen in ein Arbeitslager für Deutsche gesteckt. Der polnische Schriftsteller Jerzy Korczak hat diese unglaubliche Geschichte aufgeschrieben.Wir haben sie übersetzen lassen und hatten trotz Polenschwerpunkt auf der Frankfurter Buchmesse keinen großen Erfolg damit. Das Interesse der Deutschen an den Polen war damals und ist noch heute sehr gering.
Gerade jetzt, in den sehr gespannten deutsch-polnischen Beziehungen, kann ich dieses Buch nur jedem empfehlen, der etwas über unsere gemeinsame Geschichte erfahren will. Kurz vor seinem Tod schrieb Andrzej Szcypiorski ein Vorwort zur deutschen Übersetzung:
»Es ist eine etwas exotische Geschichte, weil sie der Zusammenarbeit, der Solidarität und der Freundschaft zwischen einem Deutschen und den Polen in der dramatischen Zeit der deutsch-polnischen Geschichte gewidmet ist.«
Fast mit jedem Buch, das ich herausgebe, erfahre ich etwas über ein für mich neues Stück Zeitgeschichte und noch viel wichtiger, ich lerne einen neuen Menschen und die Einmaligkeit seines Lebens kennen.